Ein Stück Heimat und Normalität
Im Kloster Zangberg fanden ukrainische Mütter und ihre Kinder Zuflucht
Als Russland Ende Februar 2022 die Ukraine überfiel, fragte das Landratsamt bei den Schwestern der Heimsuchung Mariens in Zangberg an, ob sie in ihrem malerischen Kloster Geflüchtete aufnehmen würden. Da der Gästebetrieb im Kloster damals aufgrund der Corona-Pandemie eingestellt war, sagte Oberin Schwester Jutta zu, aber nur unter einer Bedingung: „Ohne den Asylhelferkreis machen wir nichts.“
Diesen hatten im Herbst 2015 engagierte Bürger gegründet, als Menschen aus Syrien, dem Iran, Irak und afrikanischen Staaten in Zangberg Schutz suchten. Vorsitzende Karin Böck und die anderen Ehrenamtlichen begleiteten die Geflüchteten zu Behördengängen, gaben ihnen Deutsch-Unterricht und versuchten, bürokratische Probleme zu lösen. Die Vereinsstruktur des Helferkreises blieb auch nach Abebben der Flüchtlingswelle bestehen, und die Ehrenamtlichen waren sofort einverstanden, sich um alles Organisatorische zu kümmern.
Im zweiten Stock des Klosters richteten die 14 im Kloster lebenden Schwestern zwölf Zimmer für ukrainische Mütter mit ihren Kindern wohnlich ein. Das Landratsamt stellte Stockbetten zur Verfügung; außerdem gab es ein Spielzimmer, das aus Spenden finanziert wurde. Karin Böck erzählt, die Hilfsbereitschaft für die Ukrainer sei größer gewesen als für die Menschen aus Syrien sieben Jahre zuvor. Sicher auch, weil die Ukrainer aus unserem europäischen Kulturkreis kommen.
„Aus dem ganzen Wahnsinn herauskommen“
Als die Geflüchteten Mitte März 2022 in Zangberg ankamen, bekam das ganze Konvent Corona. Eine zusätzliche Belastung. Hilfreich war es, dass Karin Böck einen Schlüssel hatte und immer in das öffentlich nicht zugängliche Kloster gehen konnte, wenn sie gebraucht wurde.
Vor allem für die Kinder wurde viel geboten, um die Mütter zu entlasten, zum Beispiel therapeutisches Reiten oder Hip-Hop-Tanzen. Im Kino in Waldkraiburg wurde sogar ein ukrainischer Zeichentrickfilm gezeigt. „Für manches Kind war das Kloster sein Zuhause, weil es sich kaum an seine Heimat, die Ukraine, erinnern konnte“, erzählt Schwester Jutta. Einige nannten es sogar „unser Schloss“, weil sie sich so wohlfühlten, erinnert sich die 65-Jährige Oberin. Da es vor dem Kloster keinen Verkehr gibt, mussten sich die Mütter keine Sorgen machen, wenn ihre Kinder draußen spielten.
Der Helferkreis unterstützte die Ukrainerinnen dabei, ein Konto zu eröffnen, Versicherungen abzuschließen oder zum Jobcenter zu gehen. „Für den Alltag war die Übersetzungs-App Goldes wert“, sagt Karin Böck. An lauen Sommerabenden saßen alle zusammen und redeten über Gott und die Welt, erinnert sich die 54-Jährige.
Neben dem Helferkreis gibt es in der 1.200-Seelen-Gemeinde Zangberg auch noch den Verein Zusammen für die Ukraine e.V., der für die Menschen vor Ort Spenden und Hilfsgüter sammelt. Vorstandsmitglied Olena Schick erzählt von einer Schulklasse aus der West-Ukraine, die eine Woche lang ins Kloster kommen durfte, „um aus dem Wahnsinn herauszukommen“.
Als die Kinder ankamen, waren die Busfahrer überrascht, dass sie in einem Frauenkloster wohnen und Bier trinken durften, erinnert sich die 52-Jährige lachend. Gemeinsam besuchten sie Altötting und den Bayernpark in Reisbach im Landkreis Dingolfing. Nach all den negativen Nachrichten über die Ukraine wurde den Kindern eine Woche geschenkt, „wo’s nur schön war“. Überrascht war Schick darüber, wie diszipliniert die Jugendlichen abends waren: „Um halb zehn war es still, damit die Schwestern schlafen konnten.“ Als Dankeschön gab es ein Grillfest, an das die Schwestern immer noch gerne zurückdenken.
Seit gut einem Jahr läuft der normale Gästebetrieb im Kloster wieder, die Ukrainer sind ausgezogen – mit einer Ausnahme: Liliia Myroniuk und ihre Mutter leben immer noch hier. Die beiden kommen aus Lutsk im Westen des Landes, in der Nähe von Weißrussland. Dort arbeitete Lilli, wie die 40-Jährige von allen genannt wird, 18 Jahre lang als Dozentin an einer Universität. Als jedoch der Krieg ausbrach und sie zum zweiten Mal Raketen hörte, sagte sie sich: „Entschuldigung, hier kann ich nicht bleiben.“
„Was wartet hier auf mich?“
Gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Katze Dusia, die sie am Arm bei sich trug, setzte sie sich in den Bus nach Warschau, von da aus ging es mit dem Bus nach Berlin, dann mit dem Zug nach München und schließlich nach Mühldorf. An das Erstaufnahmezentrum in Mettenheim mit seinen Feldbetten hat Lilli keine guten Erinnerungen. Umso glücklicher war sie, als sie im Kloster in Zangberg ankam. Auch ihre Mutter, die nach dem Tod ihres Mannes depressiv wurde, blühte in der Umgebung auf und beginnt langsam, Deutsch zu lernen. Deshalb wohnen die Beiden bis heute hier.
In der Schule hatte Lilli Deutsch als zweite Fremdsprache gelernt, deshalb fiel es ihr leichter als anderen, sich in dem neuen Land zurecht zu finden. „Lilli hat den Integrationskurs durchgezogen und ist zu jedem Deutschkurs gefahren, um wieder arbeiten zu können“, sagt Schwester Jutta stolz. Es hat sich gelohnt: Inzwischen arbeitet sie als Mathematiklehrerin in einer Wirtschaftsschule.
„Natürlich vermisse ich meine Heimat, meine Arbeit an der Uni und meine Freunde“, gesteht sie. „Aber in der Ukraine ist es zu gefährlich, deshalb will ich hier ein neues Leben anfangen.“ Zwar habe sie sich bei ihrer Ankunft gefragt: „Was wartet hier auf mich?“, aber sie sei überrascht gewesen, wie freundlich alle zu ihr waren. Als nächstes Ziel soll Lilli sich den Führerschein setzen, meint Schwester Jutta: „Damit sie nicht mehr 40 Minuten zum Bahnhof von Ampfing laufen muss.“